Die Zeit im Wandel

Der ständige dynamische Wandel, die Verflechtung der globalen Wirtschaft, eine Zunahme an Komplexität und Abnahme an wahrscheinlichen Vorhersagen kennzeichnet unsere Zeit wie keine andere. Alte Unternehmensstrukturen, Arbeits- und Verhaltensweisen kommen dadurch an ihre Grenzen. Menschen in den Unternehmen sind zu ständigen Anpassungen und Veränderungen aufgefordert.

Hierzu können die Transformationsmodelle von Lewin, Kotter und Covey wertvolle Beiträge liefern, wie unser Beitrag in der Computerwoche beschreibt. Ergänzend dazu hat Jonah Berger, Marketing-Professor an der Wharton School der Universität von Pennsylvania, das REDUCE-Framework entwickelt. Es ist ein neuer, funktionaler Ansatz, mit dem sich Widerstände gegen Change-Projekte pragmatisch überwinden lassen. Während die o. g. Modelle ganzheitliche Phasenmodelle für Transformationen beschreiben, fokussiert REDUCE die direkte, individuelle Interaktion zwischen den beteiligten Menschen.

Berger adressiert das bedeutende Problem, dass Change-Projekte aufgrund von Widerständen der Belegschaft oft scheitern.

 

WARUM CHANGE SO SCHWERFÄLLT

Obwohl neue Dinge und Vorhaben oft besser sind als das Alte und daher ein Wechsel sinnvoll wäre, tun sich die meisten Menschen mit Veränderungen schwer. Sie gewichten die Vor- und Nachteile von Changes unterschiedlich. Einbußen rücken stärker in das Rampenlicht. Hinzu kommt, dass Menschen die Dinge, die sie bereits besitzen, prinzipiell überbewerten – ein Phänomen, das als Endowment-Effekt bzw. Besitztumseffekt bezeichnet wird. Hierbei wird angenommen, dass mögliche Gewinne mindestens zweimal so groß sein müssen wie mögliche Nachteile, um die Betreffenden zu einem Wandel zu bewegen.

Das übliche Werkzeug bei dem Versuch, jemanden von Veränderungen zu überzeugen, ist das Pushen. Derjenige, der verändern möchte, leistet Überzeugungsarbeit – er gibt ergänzende Informationen, vereinbart neue Gesprächstermine oder hält weitere Präsentationen ab. Was er dabei oft vergisst: Druck erzeugt Gegendruck. Das Gegenüber pusht zurück.

Die Übertragung in das Anwendungsfeld der Chemie ermöglicht einen inspirierenden Perspektivwechsel: Überlässt man chemische Substanzen sich selbst, so dauert es in der Regel Ewigkeiten, bis es zu einer Reaktion kommt. Katalysatoren führen auf eine spezielle Art und Weise Energie zu und beschleunigen so den Prozess – aber nicht, indem sie mehr Hitze oder mehr Bewegung erzeugen, sondern indem sie die Barrieren senken. Und genau darum geht es auch: Change-Verantwortliche sollten die Veränderungsprozesse katalysieren. Dies gelingt in der Regel besser, wenn sie weniger Energie in die Überzeugungsarbeit stecken und stattdessen einfach die Handbremse lösen.

Die folgenden beiden Fragen helfen dabei:

Warum hat diese Person den Schritt bisher nicht gewagt?
Was hindert sie daran?

Für eine authentische und stabile Veränderung müssen zunächst die zu überzeugende Person und die auf sie Einfluss nehmenden Faktoren verstanden werden. Wer das Mindset und das Verhalten anderer verändern möchte, kann die fünf Dimensionen des REDUCE-Frameworks einsetzen – damit lassen sich Trägheiten oder Widerstand überwinden.

 

REMOVING BARRIERS TO CHANGE

REDUCE

 

1. Reduce REACTANCE - Widerstand abbauen

Wie bereits erwähnt, neigen Menschen dazu, Gegendruck auszuüben, sobald sie selbst Druck verspüren. Sie verhalten sich unter Umständen sogar gegensätzlich zu der Empfehlung. Aus diesem Grund sollte dem Betreffenden eine Wahl gelassen und Handlungskompetenz zugesprochen werden.

  • Lassen Sie wählen!
    Bieten Sie verschiedene Optionen an (mindestens zwei, aber nicht zu viele), sodass die betreffende Person Vor- und Nachteile evaluieren muss, anstatt sich nur mit Kontra-Argumenten zu beschäftigen.
  • Stellen Sie Fragen!
    Durch Fragen erhalten Sie Zugang zu der betreffenden Person und ihrem Kernproblem. In einer offenen Kommunikation mit echtem Interesse verändert sich die Rolle und Akzeptanz des Entscheiders, sodass sie/er das Ergebnis schließlich mitverantwortet.
  • Heben Sie Diskrepanzen hervor!
    Menschen streben nach einer inneren Konsistenz ihres Verhaltens, ihrer Einstellungen und Meinungen. Stellen sie dabei eine kognitive Dissonanz fest, möchten sie diese wieder in Einklang bringen. Eine mögliche Frage, mit der Sie einen solchen Mechanismus anstoßen könnten, wäre: „Was würden Sie jemand anderem in diesem Fall raten?“

2. Ease ENDOWMENT - Verlustangst entspannen

Bei dem Endowment-Effekt schreiben Menschen einer Sache mehr Wert zu, als sie bereit wären, dafür zu zahlen. Um diesen Effekt zu schwächen, gibt es drei mögliche Strategien:

  • Enthüllen Sie den Preis des Nichtstuns!
    Helfen Sie der/dem Betroffenen, die Kosten des Nichtstuns zu überblicken. Oft ist der Preis des Status quo gar nicht so kostengünstig, wie es scheint.
  • Brennen Sie alte Schiffe nieder!
    Bieten Sie keine Möglichkeit, zurückzugehen oder beim Alten zu bleiben.
  • Hüllen Sie Neues in alte Kleider!
    Die Umsetzung ist nicht immer leicht, aber Formulierungen wie „Back to Basics“ oder „Aktualisierung“ unterstützen Transformationsgegner bei einem Perspektivwechsel.

3. Shrink DISTANCE - Distanz verringern

Der Zugang zu unterschiedlichen Informationsquellen birgt die Gefahr von Fehlinterpretationen. Der sogenannte Confirmation Bias beschreibt die Tendenz, Informationen so aufzunehmen, wie sie vorhandene Denkmuster bestätigen.

Damit neue Informationen Anklang finden, müssen sie nah genug an der aktuellen Position sein. Je weiter sie sich von der aktuellen Position wegbewegen, desto stärker provozieren sie Abwehrmechanismen.

  • Finden Sie die bewegliche Mitte!
    Versuchen Sie herauszufinden, an welchen Punkten Sie ansetzen können, um neue Betrachtungsweisen anzuführen. Gibt es Hinweise auf konträre Einstellungen oder Verhaltensweisen Ihres Gegenübers? Wenn Sie nichts finden können, testen und lernen Sie.
  • Fragen Sie nach weniger!
    Fangen Sie mit kleinen Veränderungen und Wünschen an. Schritt für Schritt nähern Sie sich Ihrem gemeinsamen Ziel. Denn sobald Ihr Gegenüber sich einbinden lässt, verändert sich ihr/sein Selbstbild in dieser Hinsicht und Sie verbünden sich.
  • Wechseln Sie das Spielfeld!
    Finden Sie eine Dimension, in welcher Sie sich bereits einig sind. Beginnen Sie die Konversation und bauen Sie eine Bindung auf. Von hier aus nähern Sie sich der gefragten Thematik.

4. Alleviate UNCERTAINTY - Ungewissheit mildern

Bis der Nutzen einer Veränderung greift, vergeht oft eine gewisse Zeit. Zu Beginn sind zwar die Kosten, aber noch nicht die Benefits in vollem Maße absehbar. Versuchen Sie den Nutzen schon vorher erlebbar zu machen.

  • Senken Sie Eintrittsbarrieren!
    Je nach Veränderungsvorhaben kann es sinnvoll sein, der/dem Adressierten neue Produkte vorerst kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Dies kann über Proof-of-Concepts, oder bei Software über Testversionen oder Freemium-Modelle erfolgen.
  • Schaffen Sie Möglichkeiten, entdeckt zu werden!
    Hier geht es darum, die Probe zu der/dem Adressierten zu bringen. Ein Mobilfunkanbieter hat Besuchern eines Footballspiels zum Beispiel einmal die Möglichkeit gegeben, sein neues Netz während eines Spiels im Stadion zu testen.
  • Machen Sie Veränderungen umkehrbar!
    Spannungen am Ende reduzieren die Aktionsbereitschaft ebenso wie Spannungen zu Beginn. Eine mögliche Maßnahme ist eine Geld-zurück-Garantie. Bei Transformationen können Pilotprojekte genutzt werden, um Veränderungen im abgegrenzten Raum zu prüfen.

5. CORROBORATING EVIDENCE - Stützende Beweise

Wenn eine Mehrheit in unserem Umfeld von der gleichen Sache überzeugt ist oder das Gleiche tut, fällt es schwerer, dies zu ignorieren. Die Glaubwürdigkeit und Folgerichtigkeit steigt mit zunehmender Beweisquantität. Zu beachten ist hier allerdings, wer die Quellen sind und wann sie ihre Position teilen.

  • Involvieren Sie die Richtigen!
    Involvieren Sie beweisende Quellen/Personen, die der adressierten Person/Unternehmung ähnlich genug, aber dennoch anders sind. Die Ähnlichkeit schafft Relevanz. Die Diversität wiederum fordert die/den Adressierte/n auf, den persönlichen Wert des Produkts bzw. der Maßnahme zu evaluieren.
  • Verteilen Sie Ihr validierendes Material in relativ kurzen Zeitabständen!
    Es ist effektiver, Ihre Beweise in kürzeren Zeitperioden zu konzentrieren.
  • Wählen Sie die richtige räumliche Konzentration!
    Evaluieren Sie abhängig von der Höhe der zu überwindenden Schwelle, ob Sie eine Berieselungs- oder eine Brandlösch-Methode wählen. Reicht es aus, hier und da wenige Beweise zu streuen, oder ist die Schwelle so hoch, dass Sie besser sequenziell mit einer konzentrierten Sättigung an Beweisen vorgehen?

 

Fazit

Mit dem REDUCE-Framework hat Jonah Berger eine leicht in den (Arbeits-)Alltag zu integrierende Methode entwickelt, um Veränderungsbereitschaft zu erwirken. Eine Kombination mit bewährten strategischen Methoden, z. B. von Kotter, verspricht größten Erfolg, da die zu oft vernachlässigten Widerstände der Belegschaft in den Fokus rücken. Die aktuelle Corona-Pandemie unterstreicht die Notwendigkeit von Change einmal mehr. Dies ist eine hervorragende Chance, um Gutes besser zu machen!

 

Referenzen

Berger, J. (2020). The Catalyst: How to Change Anyone’s Mind. Simon & Schuster.
Burnes, B., & Cooke, B. (2012). The past, present and future of organization development: Taking the long view. Human relations, 65(11), 1395-1429.
Covey, S., McChesney, C., Huling, J., & Maron, A. (2016). Die 4 Disziplinen der Umsetzung: Strategien sicher umsetzen und Ziele erfolgreich erreichen. Redline Wirtschaft.
Janzen, O. (2020). Mit dem richtigen Change-Modell zum Ziel. Computerwoche. https://www.computerwoche.de/a/mit-dem-richtigen-change-modell-zum-ziel,3549431
Kotter, J. P. (1996). Leading change. Boston, MA: Harvard Business School Press.
Lewin, K. (1947). Frontiers in group dynamics: II. Channels of group life; social planning and action research. Human relations, 1(2), 143-153.

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